PRESSE

Gemalte Metaphern
zum Kreislauf
des Lebens

Der erste Eindruck von den während des letzten Jahrzehnts ent­standenen Bildern Krayems läßt eine Wende in dessen Ausdrucks­wollen vermuten. Eine eingehende Betrachtung macht jedoch bewußt, daß die neue Formfindung durchaus keine Veränderung der diesem Maler wesentlichen Thematik bedeutet, vielmehr in einer logischen prozessualen Entwicklung eine intensivierte Aussageweise erreicht hat. Die auf orientalischen wie okzidentalen Querverbindungen beruhende Prägung von Krayems Persönlichkeit bewirkte eine besondere Sensibili­sierung gegenüber kulturhistorischen und sozialen Phänomenen. Eine außergewöhnlich starke Verbundenheit mit seiner Mutter „so gedieh ich in ihrer Liebe und wurde groß,” heißt es in einem Gedicht Krayems -ließ ihn die Frau mit anderen Augen sehen.

Der junge Techniker lernte das Leben der Fabriksarbeiterinnen am Fließband kennen, dessen Naturwidrigkeit und Abhängigkeit Mechanismen, welche einer der wesentlichsten Aufgaben der Frau, der Weitergabe von Leben, zuwiderliefen. So ging der Maler einem emotiona­len Antrieb folgend, daran, der Frau als Urmutter, als MAMMA EVA (wie der Titel eines frühen Gemäldes im Besitz des Kulturamtes der Stadt Wien lautet) ein Denkmal zu setzen.

Er stellte zu Idolen abstrahierte Venusfiguren und Muttergöttinnen sowie liebende und leidende Menschenfrauen in strenge kastenartige Räume -halb Altar, halb Kerker. Krayem verlieh der Frau in der SCHÖPFUNG wie auch in der JOHANNESVISION – vielfigurigen, von der Dynamik des Kreativen aufgewühlten Bildkompositionen – ihren schicksalshaften Platz.

Bald kehrte sich der auf die klassischen Forderungen nach einer Synthese von Form, Inhalt und Aussage bedachte Maler von dieser philosophisch untermauerten, jedoch die Gefahr des theatralisch Inszenierten bergen­den Weltsicht ab.

Eine starke Emotionalisierung kennzeichnet seine zweite Werkphase. Die vorangegangenen, entrückten IMAGINÄRE LANDSCHAFTEN wurden von poetischen Erinnerungen an das Land seiner Kindheit abgelöst. In den mit Schwarztee gemalten Aquarellen dominieren die Brauntöne der Wüste. Doch aus deren Lebensfeindlichkeit sprießen zarte, atmosphärisch verschwimmende Baumpflanzungen. „Bäume erzählen Träume” heißt es in einem Gedicht Kravems, oder:

Wolken am Himmel,
werfen Schatten
auf Erde.
Schatten.
Geschenk des Lichts.

Es sind Bekenntnisse seines Glaubens an das Leben, seiner Liebe zu ihm – so wie es die impressiv verschwimmenden, mitunter nahezu schatten­haften Frauengestalten sind, die er damals mit großer Zärtlichkeit gemalt hat.

Diese Bilder einer individualisierten Emotionalität mußte Krayem jedoch bald als Einschränkung seines früheren umfassenden Weltgefühls, seiner bis ins Kosmische reichenden Welt-Anschauung empfinden. Mit der in den achtziger Jahren ausgeformten dritten Werkphase schritt er zu einer immer intensiveren Auflösung des Figurativen. Die Bildserie zum Erinne­rungsjahr 1934 bringt zwar noch von Todesangst zusammengeballte, schemenhafte Menschengruppen. In einer sehr gedeckt gemalten Atmo­sphäre geht jedoch das Einzelschicksal in eine Allgemeingültigkeit über. Von hier ist der Weg in eine abstrahierte Weltsicht nicht mehr weit. Sie manifestiert sich in zwei großen Zyklen, aus deren Titel –ZUEINANDER und STRUKTUREN – sich der Entwicklungsprozeß schon ablesen läßt.

Ein gestisch dynamisierter Pinselduktus bringt mit in den Bildern sichtbar gemachten Bewegungszügen, mit der Gestaltfindung des Abstrakten eine Überschreitung individuellen Geschehens zu verallgemeinender Metaphorik.

Krayem malt gegen Unterdrückung und Verfolgung von Menschen durch die Menschen, aber für menschliche Kommunikation, mensch­liches Zueinander und Zusammenwachsen. Mythologisches und christ­liches Gedankengut finden Eingang: Christus, der von einer Frau Gebo­rene, als Symbol für menschliches Leiden; die Parzen als Allegorie für das von und durch die Frau bestimmte Leben, dessen Ursprung und Ende. Immer wieder sind es noch erahnbare weibliche Gestalten. welche zusammen mit der Farbensymbolik in Zyklen existentielles Sein zum Ausdruck bringen: Erwartung, Befruchtung, Geburt, Wachstum und Ernte.

Die emotional emporstrebenden Farbbahnen wachsen wie Bäume auf. werden zu vage erkennbaren menschlichen Konturen. Diese wiederum verwandeln sich nach und nach in Farbstrukturen, lösen die Menschen­darstellung auf und ab, Eiihren zurück zum Ursprünglichen, zu den Grundelementen, zum strukturellen Bau allen Lebens schlechthin. Bewegung und Farbklänge im Bild besitzen gefühlsmäßige Symbolwerte innerhalb der Abstraktion, so bringt Blau Sehnsucht, Rot die Erfüllung zum Ausdruck. Farbenverschränkungen visualisieren existentielles Geschehen – Transzendenz und Aszendent werden bildhaft nach­vollziehbar.

In neuesten Experimenten mit der Videotechnik kommt Krayem durch Vergrößerung von Details zu erstaunlichen Phänomenen im Makro­bereich: aus der Farbenvielfalt der ganzheitlichen Bildfläche heraus­gelöste monochrome Strukturen lassen neuerlich Andeutungen von menschlich Gestalthaftem erkennen. Hier erfolgt ein erkenntnistheoreti­scher Zirkelschluß für den Spurensucher Krayem, der ehedem philoso­phierend zu den Müttern aufgebrochen ist und jetzt malend zum Kreis­lauf des Lebens gefunden hat.

Prof.in Maria Buchsbaum

Gerangel um
europäischen
Raum

Der in Wien wohnhafte Maler Awad Krayem ist erneut in der Galerie Meier in Arth zu Gast. Seine über 40 Werke sprechen die Themen «Frauen im Licht» und im Erdgeschoss topaktuell «Das Tor Europa» an.

Bereits im Herbst 1993 hatte Awad Krayem die Besucher der Galerie Meier in Arth mit seiner Pigmentmalerei, damals zum Motto «Engel», fasziniert. Seither ist er mehrmals wieder angereist für Ausstellung und als Seminarleiter der Creativ Wochen. An der am Wochenende eröffneten Ausstellung lädt «Das Tor Europa» ins Erdgeschoss. Menschliches Zueinanderstehen und menschliche Unterdrückung sind Themen, mit denen sich der weit gereiste gebürtige Syrier intensiv und dynamisch mit Pinsel und Farbe auseinander setzt. Diese neue Serie ist er 2005 angegangen: das Gerangel um den europäischen Raum. Öffnung – sind nur Leute genehm, welche die Wirtschaft braucht? Ist es fair, den Alten Kontinent vor Afrikanern oder Asiaten, die auf der Suche nach einem besseren Leben bei uns anklopfen, hermetisch dichtzumachen? Der Künstler, der sich neben Malerei auch mit Bildhauerei, Grafik, Fotografie, Videoinistallationen und Lyrik beschäftigt, hofft, dass Europa nicht eine Sackgasse wird, dass man den humanitären Gedanken hochhält.

Immer eindrücklich auch die diversen Formate. Neben dem Eingang hängt «Big City life», ein riesiges Leinwandbild, die Widerspiegelung einer Grosstadt mit ihren hellen und dunklen Grautönen und roten Stopplichtern. Im Obergeschoss zieht das in starkem Blau lockende «Weltenfenster» die Augen der Besucher unweigerlich auf sich. Andere Bilder zeigen gedankenbeladene Frauengesichter und teils nur erahnbare, bedrückt da stehende weibliche Gestalten. Frauen, die sich damit schwer tun; zur Lebensverwaltung gezwungen  werden, weil der familiäre Zusammenhalt vielerorts zerstört ist. Auch die Kirchen sind thematisiert. «Inschrift» nennt sich ein gelbes Grossformat mit arabischen Schriftzügen. Die drei «Fenster» im Obergeschoss hingegen könnten Entwürfe für ein katholisches Gotteshaus sein. Wunderschön wirkt die Serie «Räume», in der sich Menschen teils sehr elegant bewegen. Der 1948 geborene Awad Krayem, der auch schon in den USA und Japan ausgestellt hat, bezeugt auch Humor. Etwa beim Bild der vier Ziegen – die behornten Köpfe in angeregter Diskussion zusammen gesteckt.

Dominique Goggin

Eine magische Dichte

Dem Betrachter mögen einige Bilder von Awad Krayem auf den ersten Blick wegen ihrer freien Interpretation zur ungegenständlichen Malerei hin etwas hermetisch erscheinen. In verhaltenen Farbtönen komponiert der 1948 in Syrien geborene und seit 1967 in Wien lebende akademisch ausgebildete Künstler weite Landschaftsausschnitte so, daß sie aus der Vogelperspektive eine Aussicht mit tiefer Fluchtlinie  darstellen. 

Dabei bilden Silhouetten wie von Bäumen, Gebüsch, Häusern, Hügeln oder Ebenen vorwiegend das Bild­mittelfeld. Von hier breitet sich infolge der strukturierten Farbflüsse ein verfeinerter Lyrismus über die ganze Bildfläche aus. Durch die ungewöhnliche Stofflichkeit der Farben und die großzügige Konzeption der Bildgestaltung malt Krayem sensible Bilder, die in der Aura der Einsamkeit den Betrachter zur Selbstbesinnung hinführen.

Der international anerkannte Maler, der in vielen europäischen Ländern, in den USA und in Südafrika erfolgreich ausgestellt hat, setzt die Perspektive so an, daß sie einen unwiderstehlichen Sog in die Tiefe erzeugt. Ein flacher, ruhiger Wolken­himmel suggeriert zusätzlich den Tiefen­zug ins Unendliche, so daß der in der Tiefe sich verlierende Hintergrund die Grenze zum Metaphysischen sprengt. Das Bewußtsein von einem geheimnisvollen Ursprung und Urgrund schafft die Stille in diesen Landschaftsbildern.

Krayem ist kein Erzähler, der neugierige Schaulust für Details weckt. Seine Kompositionen sind so angelegt, daß die Wirklichkeit durch die malerische Suggestion eine geheimnisvolle Dichte erfährt. Die dingliche Präsenz wird von etwas Magischem überlagert, weswegen die Festigkeit aufgelöst wirkt. Nicht das Festhalten der Naturwahrheit ist also das wesentliche Ziel von Krayem, sondern die Freisetzung von Hintergründen.

Dr. Egon Tscholl

Das Liebesprinzip

Das Liebesprinzip drängt nach creativer Gestaltung und so formulieren sich aus Krayem großformatige Berührungsbilder, die das Thema des Haptisch-Taktilen sowohl inhaltlich als auch technisch und materialgemäß zum Ausdruck bringen denn die mit Sand und Asche vermengten Pigmente auf Ölbasis laden sich auf bis zum greifbaren Relief. 

Die immer kleine, leichte, aber pastose Berührung der Leinwand mit Pinsel und Ölfarbe ist wie ein zärtliches Streicheln und Modeln des Bildkörpers. Langsam-rasch, leicht-stark, rhythmisch pointiert, vielfältig, differenziert und in melodisch zartem

 Rhythmus entstehen viele Schichtungen, so lange bis die gesamte Bildfläche derart satt ist, dass sie von innen nach außen zu strahlen vermag. Mehrere Jahre arbeitet der Künstler an einem einzigen Bild bis es zur Gänze durchdrungen und durcharbeitet ist. Die Werke erschließen und enthalten einen unglaublichen inneren Reichtum, Fülle und Lebendigkeit, sowie Tiefe und Symbolkraft. 

Titel wie “Weibliche Fläche”, “Begegnung”, Schöpfung”, “Vollendung”, “Spuren der Liebe”…bezeugen das aus der Liebe strömende schöpferische Prinzip. Zärtliche Berührung und Begegnung bedeutet aber nicht festhalten sondern beinhaltet das Loslassen, Raumlassen und Atmen gleichermaßen, und indem der Pinsel leicht und äußerst bewegt über die Bildebene tänzelt erklingt eine gestalterische Melodie in deren Mittelpunkt immer der Mensch steht. Letztlich bleibt uns nur die Liebe und nur in ihr befinden wir uns im Zentrum unseres Seins und sind dabei gleichzeitig verbunden und berührt .

Dr. Waltraud Schwarzhappel - Kunsthistorikerin

Ziege zwischen
Liebespaaren

Er gehört schon fast zu den Stammgästen der Arther Galerie Meier. Bereits zum fünften Mal stellt er hier aus. Jeder Besucher, jede Besucherin erkennt ihn auf Anhieb: Awad Krayem. Und trotzdem ist er nie derselbe. Er will immer wieder neu entdeckt werden. Dazu gibt seine gegenwärtige Ausstellung reichlich Gelegenheit. Zu sehen sind die Werke seiner neuesten Schaffensperiode: 2008-2010.

Schillernde zwischenmenschliche Begegnung
Auch hier ist es das Thema Begegnung, welches das künstlerische Schaffen des aus Syrien stammenden und in Wien wirkenden Malers bestimmt. Stets sucht er den Widerstreit von Gut und Böse, Liebe und Hass, Zuspruch und Ablehnung, Zufriedenheit und Enttäuschung in Farbe und Form auszudrücken. Auf den ersten Blick scheint seine Kunst zwar abstrakt zu sein, aber beim Verweilen vor seinen Kompositionen beginnt das Bild lebendig zu werden, es beginnt sich zu bewegen. Die «abstrakten» Farbflächen werden konkret und dynamisch. Krayem geht mit der Farbe so feinfühlig-intensiv um, dass die Bilder von innen her zu leuchten beginnen. Langsam tauchen Gestalten aus dem Farbgrund auf, die gen au im Spannungsfeld von Nähe und Distanz, Gemeinsamkeit und Einsamkeit – eben der Liebe – stehen.

Dazwischen die «Geiss»
Wer sich geduldig diesem irisierenden Hin und Her der menschlichen Begegnungsqualitäten hingibt, der macht dann aber seltsame Entdeckungen. Zwischen den meist paarweise dargestellten Gestalten taucht plötzlich eine gehörnte Kreatur auf: eine Ziege. Dass der Künstler damit die Begegnung vom Zwischenmenschlichen auf die Natur ausweiten wolle, kann meines Erachtens nur eine sehr vordergründige Erklärung sein, Wenn dieses Tier sich aus dem Bild herauslöst, gleichsam aus dem Unterbewussten auftaucht, so kann die Ziege nur als Symbol erschöpfend verstanden und gedeutet werden.

Vielschichtige Symbolik der Ziege
Die Ziege als typischer Vertreter unseres Kleinviehs ist in erster Linie ein Gleichnis für Einfachheit und Genügsamkeit, Spenderin von Milch· und Fleisch – der «Stolz» des Kleinbauern, früher auch der Bähnler- und Fabrikarbeiter-Familie. Sie garantiert also die elementarsten Mittel, ohne welche die Begegnung zwischen Menschen nicht existieren kann: Gradlinigkeit, Aufrichtigkeit. – Ziegen aber sind unsicher, leicht irritierbar.

So wie menschliche Begegnung zerbrechlich und verletzlich sein kann. Die unerwartet aus dem Unbewussten auftauchende Ziege deutet es an. – Dann aber kennen wir auch die «Opferbereitschaft» der Ziege. Erinnert sei hier an den Geissbock, den der schlaue Urner Bauer als ersten über die Teufelsbrücke in der Schöllenen jagte, dessen Seele der Teufel begehrte. Sein Opfer ermöglicht Begegnung zwischen Menschen. So auch die zahlreichen alten Opferfeste in vorderorientalischen Kulturen. Auf einer noch tieferen Ebene aber begegnet uns der Sündenbock, den die Juden am Versöhnungsfest in die Wüste schickten. Menschliche Gemeinschaft soll wiederhergestellt werden, Versöhnung. In der christlichen Typologie ist Jesus dieser Sündenbock, der vor die Tore der Stadt in den Tod hinausgejagt wird. Der für die Sünde der Welt stirbt, schafft neues Leben, erwirkt Erlösung für alle. Mit dem Symbol der Ziege gelingt es also dem Künstler – wohl unbewusst – den theologischen Aspekt der Erlösung in die Dynamik menschlicher Begegnung «hineinzumalen». Eine Kunst, die voller Hoffnung ist.

Dr. Walter Eigel